SoCiS: Social Citizen Science zur Beantwortung von Zukunftsfragen

Das Projekt widmet sich der Problemstellung, dass Citizen Science im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften – Social Citizen Science (SCS) – gerade aufgrund ihrer Nähe zur Alltagswelt schwer objektivierbare Beobachtungen verarbeitet und somit wenig immun gegen wissenschaftlich reformulierte Interessenpolitik einzelner Gruppen ist. Aber auch ohne bewusste Lenkung ist die Sicherstellung wissenschaftlicher Qualitätsansprüche bei der Beteiligung von Bürger.innen, d.h. ihre Partizipationsfähigkeit in gesellschaftlichen Innovationsprozessen, eine Herausforderung, denn wissenschaftliche Werte wie Uneigennützigkeit oder Offenlegung der Methoden des Erkenntnisgewinns können bei Bürgerexpert.innen nicht umstandslos vorausgesetzt werden. Ebenso bestehen bislang kaum Schnittstellen außerakademisch organisierter SCS-Projekte zu akademischen Wissenschaftseinrichtungen. Beispielhaft hierfür stehen allerorts vorfindbare wissenschaftliche Schulprojekte oder Vereinstätigkeiten, die außerhalb von Forschungsförderungen selbst organisiert werden.

Citizen Science innerhalb und außerhalb der Wissenschaft
Es ist mithin ein Spannungsverhältnis zwischen SCS, die innerhalb und außerhalb akademischer Einrichtungen organisiert wird, zu vermuten. Gleichermaßen kann nicht behauptet werden, dass akademisch organisierte SCS wirksamere oder gleichartige Innovationen generiere. Das Problem erfährt zusätzliche Relevanz, wenn man die Steigerung der Partizipation von Bürger.innen in SCS vor dem Hintergrund des wachsenden Bedarfs an Lösungsressourcen zur Bewältigung von Zukunftsfragen, allen voran die Nachhaltigkeitsherausforderungen, betrachtet.

Die zentrale Forschungsfrage des Projekts lautet: Welche Innovationspotenziale sind mit Social Citizen Science verbunden, und welcher Voraussetzungen – etwa Komplexitätsreduktion, Kompetenzvermittlung und Qualitätssicherung – bedarf es für eine wissenschaftlichen Prinzipien genügende Partizipation von Bürger.innen an Social Citizen Science?

Mobilisierung, Partizipationsfähigkeit, Nachhaltigkeitsherausforderungen
Daran anknüpfende Forschungsfragen sind:

  • Aus welchen Gründen beteiligen sich Bürger.innen an SCS? Bei welchen Forschungsthemen besteht hohes Mobilisierungspotenzial?
  • Auf welchen Wegen wird die Partizipationsfähigkeit von Bürger.innen in SCS hergestellt? Welche Rolle spielen dabei Informationsbeschaffung, Meinungsäußerung und Mediennutzung?
  • Welche Unterschiede und Schnittstellen bestehen zwischen innerhalb und außerhalb akademischer Einrichtungen organisierter SCS-Projekte? Wie wird jeweils die wissenschaftliche Qualität sichergestellt?
  • Welche Innovationen oder Beiträge zur Bewältigung von Nachhaltigkeitsherausforderungen sind durch Social Citizen Science ersichtlich und potenziell erreichbar? Welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung?
  • Welche wissenschaftspolitischen Instrumente sind geeignet, förderlich auf die Entwicklung und Expansion von Social Citizen Science zu wirken? Welcher Grade an Selbstorganisation und Außensteuerung bedarf es dabei?
  • Wie können die Geistes- und Sozialwissenschaften ihre Rolle für die Gesellschaft mithilfe bürgerschaftlicher Perspektiven neu verorten?
english abstract
The project addresses the problem that Citizen Science in the field of humanities and social sciences – Social Citizen Science (SCS) – processes observations that are difficult to objectify precisely because of its proximity to the everyday world and is thus not very immune to scientifically reformulated interest politics of individual groups. But even without conscious guidance, ensuring scientific quality standards in the participation of citizens, i.e. their ability to participate in social innovation processes, is a challenge, because scientific values such as altruism or disclosure of the methods of gaining knowledge cannot be assumed without hesitation among citizen experts. Similarly, there are hardly any interfaces between non-academically organised SCS projects and academic science institutions. Examples of this are the scientific school projects that can be found everywhere or association activities that are organised outside of research funding. The central research question of the project is: What innovation potentials are associated with Social Citizen Science, and what preconditions – such as complexity reduction, competence transfer and quality assurance – are needed for a participation of citizens in Social Citizen Science that satisfies scientific principles?

Ansprechpartner

Justus Henke |

OER-Handbuch zu Social Citizen Science

Cover: Social Citizen Science OER-Handbuch

Cover: Social Citizen Science OER-Handbuch

Im Rahmen des Projekts SoCiS wurde ein Handbuch als Open Educational Resource (OER), d.h. als frei verfügbares und veränderbares Lernmaterial, erstellt. Zweck der OER ist, Interessierten eine praxisnahe Einführung in das Thema Social Citizen Science zur Verfügung zustellen. Diese kann entweder Grundlage für den Einsatz in Weiterbildungsveranstaltungen sein oder auch zum individuellen Selbstlernen anregen.

Wir stellen neben einem PDF zusätzlich die bearbeitbare Ausgangsdatei im Powerpointformat (PPTX) bereit, damit Sie – im Sinne eines lebendigen Dokuments – nach eigenen Bedarfen Ergänzungen oder Verbesserungen vornehmen können. Wir freuen uns, wenn Sie uns Ihre Änderungen zusenden. Dadurch helfen Sie uns, die Datei kontinuierlich zu aktualisieren und ko-kreativ weiterzuentwickeln. Ebenso sind wir interessiert zu erfahren, wie Sie das OER-Handbuch einsetzen. Viel Spaß und gutes Gelingen Ihrer Social-Citizen-Science-Vorhaben wünscht das SoCiS-Team!

Konferenz “Citizen Science is Social!”

Zum Abschluss des HoF-Forschungsprojektes SoCiS (Justus Henke, Claudia Göbel, Sylvi Mauermeister, Susann Hippler) wirkte das Projektteam am 14./15.10.2020 an der internationalen Konferenz „Knowledge for Change: A decade of Citizen Science (2020–2030) in support of the SDGs“ mit. Die Tagung wurde federfüh-rend vom Museum für Naturkunde Berlin betreut und in einem hybriden Online-offline-Format realisiert. Gefördert von der EU, war sie Bestandteil der Aktivitäten im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020. Thematisiert wurden Beiträge von Citizen Science zur Nachhaltigkeitstransformation, insbesondere den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (UN SDGs).

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SoCiS richtete zusammen mit Vertretern des EU-Projekts „CoAct“, das auch zum Thema Citizen Social Science (CSS) forscht, zum einen eine Abendveranstaltung „Citizen science is social!“ aus. Als Ausgangspunkt dienten zwei alternative Vor-stellungen von dem, was „das Soziale“ in der Citizen Social Science ausmacht:

  • Das SoCiS-Projekt auf der einen Seite fasst CSS als wissenschaftliche Forschung in Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften in Zusammenarbeit mit nichtprofessionellen Wissenschaftler.innen, d.h. das Soziale bezieht sich auf die wissenschaftliche Disziplin – CSS inkludiert auch Projekte, die primär von wissenschaftlichen Einrichtungen ausgehen.
  • Demgegenüber macht das CoAct-Projekt das Soziale an den Projektzielen und der Art der Beteiligung von Co-Forscher.innen fest. CSS wird hier verstanden als partizipative Forschung, die mitentwickelt oder geleitet ist von Bürgergrup-pen mit einem gemeinsamen sozialen Anliegen. Nach diesem Verständnis um-fasst CSS auch die Bearbeitung naturwissenschaftlicher Fragestellungen wie Umweltverschmutzung eines Stadtteils.

Einen Einblick in die vielfältigen CSS-Aktivitäten bot im Anschluss ein kurzer Film. In einem offenen Call waren Projekte aufgerufen, ihre Arbeit und Sicht auf die Besonderheiten von CSS filmisch vorzustellen. Auf diese Einstimmung folgten vier parallele Workshops:

  • Ein vom SoCiS-Team organisierter Workshop fragte nach der Rolle der Inklusi-vität von CSS-Aktivitäten für Nachhaltigkeitstransformationen, d.h. wer mitwirken kann und wer ausgeschlossen bleibt. Magdalena Meißner (TU Berlin) und Reidun Norvoll (Oslo Metropolitan University) diskutierten Chancen partizipativer sozial-wissenschaftlicher Forschung und Herausforderungen von Inklusion zu einem ver-gangenen (ReparaKultur) sowie einem beginnenden (Youcount) CSS-Projekt.
  • Ein weiterer vom SoCiS-Team geleiteter Workshop fokussierte aufnachhalti-ges Leben in Städten und Dörfern. CSS kann hier auf ganz verschiedene Arten Beiträge leisten. Eine besteht inform partizipativer Forschung für Stadtentwicklungs-projekte, welche Andrea-Isermann Kühn und Rainer Leppin (DorfwerkStadt) im Reallabor um den Berliner Mierendorffplatz durchführen. Eine andere ist die Erschließung neuer Arten von Daten für Planung in ländlichen Räumen, wie sie vom Projekt Landinventur geleistet wird, das Eleonore Harmel (Thünen Institut) vorstellte.

Zum anderen leitete das SoCiS-Team die Session zum Thema „Institutionelle Bedingungen der Öffnung von Geistes- und Sozialwissenschaften für die Öffentlichkeit“. Präsentiert und diskutiert wurden SoCiS-Projektergebnisse zur CSS-Landschaft in Deutschland sowie zur Kooperationsausgestaltung zwischen Wissen-schaftler.innen und Laienforschenden. Die Zusammenarbeit in heterogenen Ver-bünden aus wissenschaftlichen Einrichtungen und zivilgesellschaftlichen Organisa-tionen, Verwaltungen oder Schulen stellt eine wichtige Facette des Gelingens von CSS-Aktivitäten dar. Vor diesem Hintergrund wurde das Konzept der „Zusammenarbeitsfähigkeit“ vorgeschlagen, um neben der Partizipationsfähigkeit von Laien an Forschung die zusätzlichen Anforderungen an CSS zu erfassen. Wie Projekte in der Praxis verschiedene Aspekte von Zusammenarbeitsfähigkeit bewältigen, z.B. der Umgang mit heterogener Expertise oder notwendige Anpassung an Förderbedingungen, wurde anschließend mit Alexandra Albert (UCL London, Projekt Act Early) und Anna Cigarini (Uni Barcelona, Projekt CoAct for Mental Health) diskutiert.

Aufzeichnungen der Veranstaltungen: https://www.youtube.com/playlist?list=PLeTlYFAGADkOHH3DyfkBkfGEmJzfDDpIp

Buchpublikationen und Forschungsberichte

Claudia Göbel / Justus Henke / Sylvi Mauermeister: Kultur und Gesellschaft gemeinsam erforschen Überblick und Handlungsoptionen zu Citizen Science in den Geistes- und Sozialwissenschaften. (HoF-Handreichungen 14), unter Mitarbeit von Susann Hippler, Nicola Gabriel und Steffen Zierold, Institut für Hochschulforschung (HoF) an der Martin‐Luther‐Universität, Halle‐Wittenberg 2020, 128 S. ISSN 1436‐3550; ISBN 978-3-937573-79-3.  mehr...

Claudia Göbel / Justus Henke / Sylvi Mauermeister / Verena Plümpe: Citizen Science jenseits von MINT – Bürgerforschung in den Geistes‐ und Sozialwissenschaften (HoF‐Arbeitsbericht 114), unter Mitarbeit von Nicola Gabriel, Institut für Hochschulforschung (HoF) an der Martin‐Luther‐Universität, Halle‐Wittenberg 2020, 105 S. ISSN 1436‐3550; ISBN 978‐3‐937573‐76‐2. mehr...

Vorträge und Artikel

  • Justus Henke (2022): Can Citizen Science in the Humanities and Social Sciences Deliver on the Sustainability Goals? Sustainability 2022, 14, 9012. https://doi.org/10.3390/su14159012
  • Göbel, Claudia/Sylvi Mauermeister/Justus Henke (2022): Citizen Social Science in Germany—cooperation beyond invited and uninvited participation, in: Humanities and Social Sciences Communications 1/2022. DOI: 10.1057/s41599-022-01198-1.
  • Göbel, Claudia: Social Citizen Science. Results of the SoCiS Project, Präsentation auf der Citizen Science & SDG Conference, 15.10.2020, Berlin, Download
  • Göbel, Claudia: Social Citizen Science zur Beantwortung von Zukunftsfragen, Präsentation auf dem Citizen Science Forum am 27.9.2019, Münster, Download
  • Mauermeister, Sylvi: Social Citizen Science zur Beantwortung von Zukunftsfragen, Präsentation auf dem DZHW-Workshop „Higher Education and Civic Participation” am 29.11.2019, Hannover, Download

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