Toleriert und kontrolliert. Konfessionelles Bildungswesen auf dem Gebiet Sachsen-Anhalts 1945–1989

Im Rahmen der HoF-Mitarbeit im Arbeitskreis Zeitgeschichte der Historischen Kom­mission Sachsen-Anhalt wurde eine kompakte Darstellung der konfessionell gebun­denen Bildungsmöglichkeiten in Sachsen-Anhalt bzw. den Bezirken Halle und Mag­de­burg, wie sie in den Jahren 1945 bis 1989 bestanden, erarbeitet. Dabei sind al­le evangelisch-landeskirchlichen, römisch-katholischen und freikirchlichen Bil­dungs­angebote einbezogen – insgesamt 259.

Nicht sämtliche der dokumentierten Bildungsangebote existierten während der gesam­­­­ten Zeit der DDR. Für immerhin 47 traf dies aber zu. Erstaunen wecken kann daneben vor allem eines: Das konfessionell geprägte Bildungswesens in Sachsen-An­halt hat sich während der 40 Jahre DDR um drei Viertel seiner ursprünglichen Größe erwei­tert. Daneben lassen sich einige sachsen-anhaltische Besonderheiten fest­­halten:

  • In den beiden evangelischen Lan­­­­des­kir­chen, die in den Bezirken Halle und Magdeburg ope­rierten, gab es Angebote in sämtlichen Bil­dungs­stu­fen und -seg­men­­ten: angefangen bei Kindergärten und schulbegleitender Bildung, insbesondere der Christenlehre, über berufs- oder studienvorbereitende Kurse einschließlich zweier Möglichkeiten, ein kirchliches Abitur zu erwerben, fortgesetzt mit zahl­reichen Optionen für berufliche Ausbildungen, mit zwei Einrichtungen, um Theologie zu studieren, und mehreren, um sich kirchenmusikalisch ausbilden zu lassen, bis hin zu viel­­­fäl­tig­sten Weiterbildungsmöglichkeiten und allgemeiner Erwachsenenbil­dung.
  • Bemerkenswert ist auch der sachsen-anhaltische Anteil an bestimm­­ten Ein­richtungstypen: So fand sich auf sachsen-anhaltischem Territorium ein Drittel der zwölf Dia­konissenhäuser in der DDR. Seit 1975 hatte es DDR-weit 15 evangelische Krankenpflegeschulen ge­geben. Sieben davon, also die Hälfte, lagen in den Bezirken Halle und Magdeburg. Insgesamt gab es in der DDR 18 evangelische und katholische Seminare für die zweite Pha­se der theologischen Ausbildung und die Pfarrerweiterbildung. Von die­sen hatten fünf (28 %) ihren Sitz in den Bezirken Halle und Magdeburg.
  • Unter den konfessionellen Bildungseinrichtungen lässt sich ei­ne be­trächtliche Anzahl finden, die nicht allein regional re­levant, sondern über­­re­­gional bedeutsam waren. Beispielhaft nennen lassen sich die Gnadauer An­stalten, das Katechetische Seminar Wernigerode, die Sektion Theologie der MLU Halle-Wittenberg, das Katechetische Ober­seminar Naumburg, die Kir­chenmusikschule Halle und der Kirchliche Fernunterricht der KPS für den evangelischen Bereich. Be­deutungen, die deutlich über den katholischen Jurisdiktionsbezirk Mag­deburg hinausreichten, hatten das Norbertus­­werk Magdeburg, das Prie­s­ter­seminar Huysburg, das Polenseminar Mag­de­burg und die Katholische Ar­beitsstelle für Pastora­le Hilfsmittel Magdeburg. Der Umstand, dass die Gemeinschaft der Sieben­ten-Tags-Adventisten ih­­ren Hauptsitz in Frie­densau bei Magdeburg unter­hielt (und unterhält), brachte auch hier überregionales Gewicht mit sich.
  • Als bemerkenswert lässt sich auch der Umstand fest­hal­ten, dass in Zeitzeugenberichten und Untersuchungen die konfessionellen Bil­dungseinrichtungen nur sel­ten als begrenzend oder einen­gend beschrie­ben werden, vielmehr ganz überwiegend als kulturell liberaler, kognitiv anre­gender und sozial integrati­ver beschrieben. Das muss sich nicht von selbst verstehen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass jen­seits der DDR kon­­­­­fessionelle Bil­dungsein­richtun­gen mitunter gänzlich andere Bewertungen erfahren: als in­dok­tri­nierend und die Per­sönlichkeits­ent­wicklung durch dog­matische Vorgaben – seien es inhaltliche oder solche zur Lebensführung – formatierend. Dieser Befund sagt vermutlich mehr noch über das DDR-Bildungssystem aus als über die kon­fessionellen Angebote. Letztere be­nötigten lediglich ei­ne mini­male Of­­fenheit gegenüber Non­konformis­mus, um sich vom prä­genden Konformismus des staatlichen Bil­dungs­we­­­­­sens abzusetzen.

Zitation

Uwe Grelak / Peer Pasternack: Toleriert und kontrolliert. Konfessionelles Bildungswesen auf dem Gebiet Sachsen-Anhalts 1945–1989, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2021, 364 S.

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