Wissenstransfer (in) der Sozialen Arbeit – CfP für “die hochschule” 2/2020

Call for Papers für das Heft 02/2020 der Zeitschrift „die hochschule. journal für wissenschaft und bildung“:

Wissenstransfer (in) der Sozialen Arbeit: Zur Produktivität wissenschaftlicher Vermittlungs- und Transfervorstellungen

Die Wirkmächtigkeit der Wissenschaft beginnt nicht erst dort, wo der Transfer wissenschaftlichen Wissens in gesellschaftliche Handlungsfelder aktiv befördert wird. Gesellschaftliche Wirkmächtigkeit ist der Hochschulbildung vielmehr inhärent: Zwar ist sie Reaktion auf externe Erwartungen; dabei unterwirft sich jedoch das tertiäre Bildungssystem nicht einfach den Anforderungen externer Handlungsfelder (vgl. Stock 2017; Stock et.al. 2018), sondern folgt – wenigstens partiell – seinem „Eigensinn“ (Krücken/Meier 2005).

Die Folgen dieses Eigensinns zeigen sich auf verschiedenen Ebenen: So wirken Disziplinen zum einen „kaum bemerkt“, gleichwohl „kontinuierlich“, wenn sie durch „einfache Differenzierung oder durch Rekombinationen neuartiger Lehrstühle, Fachbereiche und Studiengänge“ (ebd.) mit ihrem je spezifischen Wissen dazu beitragen, gesellschaftliche Handlungsfelder zu erschließen und zu modifizieren. Zum anderen versuchen gerade diejenigen Studiengänge, die auf unmittelbare Anwendbarkeit fokussieren, immer auch, mittels wissenschaftsbasierter Theoriebildung einen dezidierten Beitrag zur positiven Veränderung gesellschaftlicher Handlungsfelder zu leisten. Die Reflexion der eigenen Wirksamkeit gehört daher zu den innerfachlichen Diskursen vieler Disziplinen und Studiengänge.

Die Soziale Arbeit zeichnet dabei eine Besonderheit aus: Hier gehört nicht nur der Diskurs um den Transfer von Theorie in Praxis zum Kern der disziplinären Selbstreflexion; dieser Transfer gilt vielmehr seit Etablierung des Fachs als problematisch. In den Anfängen wird die ‚Lücke‘ zwischen Theorie und Praxis kritisch als Frage der Umsetzbarkeit hehrer politischer Ideale verhandelt (vgl. Küster 2001). Sie wird abgelöst von der kontroversen Diskussion um die Möglichkeit und Notwendigkeit der Etablierung einer dezidierten Sozialarbeitswissenschaft, welche mittels ‚besserer‘ Theorien die Brücke zur Praxis bauen soll (vgl. insb. Engelke 1992; ferner Beiträge in Birgmeier/Mührel 2009). In den gegenwärtigen Diskursbeiträgen wird vorausgesetzt, dass die Soziale Arbeit als Fach sowie als kritische Profession bereits hinlänglich wissenschaftlich basiert ist (vgl. Engelke/Spatschek/Borrmann 2009; Staub-Bernasconi 2018). Kontrovers diskutiert wurden daher in den vergangenen Jahren vor allem die Möglichkeiten sowie die Modi des Transfers vorliegender Theorien und theoretischer Perspektiven auf spezifische Gegenstände und Handlungsfelder der Sozialen Arbeit (siehe exemplarisch Beiträge in Unterkofler/Ostreicher 2014). Das ist plausibel, greift allerdings zu kurz: Unbeobachtet bleibt so der Transfer, der bereits stattfindet.

Die Perspektive unseres Themenheftes setzt hier an: Erwünscht sind Beiträge, die neben den (antizipierten sowie auch beobachtbaren) Grenzen und Problemen des Theorie-Praxis-Transfers (in) der Sozialen Arbeit verhandeln, wie und auf welche Weise sich der hochschulinhärente ‚Eigensinn‘ in diesem Falle ausdrückt. Wir fragen:

  • wie und an welchen Stellen konkret sich die Wissenschaftlichkeit der Sozialen Arbeit praktisch geltend macht;
  • wie die Überführung von theoretischem in ein handlungsbezogenes Wissen im Einzelfall vonstattengeht;
  • inwiefern und in welchen Bereichen die Soziale Arbeit mit ihren theoretischen Perspektiven dabei praxismodifizierende (oder auch –konstituierende) Momente hat;
  • welche Folgen die Wissenschaftlichkeit sowie die nach wie vor nicht abgeschlossene ‚Verwissenschaftlichung‘ der Sozialen Arbeit für sich daran orientierende Anforderungen in der Praxis hat;
  • aber auch: wie sich die Grenzen des Transfers und der aktiven Einwirkung der Wissenschaft auf die Praxis gesellschaftlicher Handlungsfelder begründen.

Im Sinne eines interdisziplinären Austauschs sind die Perspektiven der diversen Hochschulakteure (Studierende, Lehrende und Forschende der Sozialen Arbeit) sowie auch die Perspektiven dezidierter Hochschulforscher*innen gefragt.

Bitte senden Sie dazu Abstracts von maximal 500 Wörtern bis zum 15. Juni 2019 an die Herausgeberinnen Annemarie Matthies () und Bettina Radeiski (). Eine Rückmeldung über die Annahme des Beitrags erfolgt von uns bis Ende Juni 2019. Die vollständigen Artikel erbitten wir im Umfang von 25.000 Zeichen bis zum 31.12.2019, um diese im Heft 2/2020 mit dem Themenschwerpunkt „Theorie-Praxis (in) der Sozialen Arbeit“ der Zeitschrift „die hochschule“ zu veröffentlichen.

Dr. Annemarie Matthies (Lehrbereich Bildungssoziologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) & Prof. Dr. Bettina Radeiski (Department Soziale Arbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg)

 

Literatur

Birgmeier, Bernd/Mührel, Eric (Hg.) (2009): Die Sozialarbeitswissenschaft und ihre Theorie(n). Positionen, Kontroversen, Perspektiven. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Engelke, Ernst (1992): Soziale Arbeit als Wissenschaft. Eine Orientierung. Freiburg: Lambertus Verlag.
Engelke, Ernst/Spatscheck, Christian/Borrmann, Stefan (2009): Die Wissenschaft Soziale Arbeit. Freiburg: Lambertus Verlag.
Krücken, Georg/Meier, Frank (2005): Der gesellschaftliche Innovationsdiskurs und die Rolle von Universitäten. Eine Analyse gegenwärtiger Mythen. In: die hochschule 01/2005, S. 157-170.
Küster, Ernst-Uwe (2001): Ein Dauerbrenner auf kleiner Flamme. Wissen und Können in der Sozialen Arbeit. In: Sozialextra, 25. Jg., Heft 9, S. 32-35.
Staub-Bernasconi, Silvia (2018): Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft. Auf dem Weg zu kritischer Professionalität. 2., vollständig überarbeitete u. aktualisierte Ausgabe. Opladen/Toronto: Barbara Budrich.
Stock, Manfred/Maiwald, Annett/Matthies, Annemarie/Schubert, Christoph (2018): Akademisierung der Beschäftigung. Konzeption eines Forschungsprogramms und erste Befunde zu ausgewählten Fallstudienbereichen. Der Hallesche Graureiher 2018-3.
Stock, Manfred (2017): Hochschulexpansion und Akademisierung der Beschäftigung. In: Soziale Welt 68, Heft 4, S. 347-364.
Unterkofler, Ursula/Oestreicher, Elke (Hg.) (2014): Theorie-Praxis-Bezüge in professionellen Feldern. Wissensentwicklung und -verwendung als Herausforderung. Opladen/Toronto: Barbara Budrich.