Am 1. Juni 2002, dem "Tag der Forschung" der Martin-Luther-Universität
in Wittenberg, wurde im Julius-Riemer-Museum im Stadtschloss die Ausstellung
"Wittenberg nach der Universität" eröffnet. Sie wird
noch bis zum 30. November 2002 der Öffentlichkeit präsentiert.
Die Vorbereitung und Koordination der Ausstellung ist der Beitrag von
HoF Wittenberg zur 500-Jahrfeier der Martin-Luther-Universität. Mitgewirkt
haben insgesamt acht Wittenberger und Hallenser Institutionen. Für
das Institut für Hochschulforschung wurde sie von Peer Pasternack
und Jens Hüttmann kuratiert. Der Ministerpräsident des Landes
Sachsen-Anhalt, Prof. Dr. Wolfgang Böhmer, eröffnete - als Wittenberger
Bürger und Mitinitiator der Ausstellung - die Exposition.
Wittenberg hatte zwar infolge des Wiener Kongresses 1815 seine Universität
- die Leucorea - und damit etwas für die Stadt sehr Gewichtiges verloren,
doch alsbald entwickelte die Stadt aus sich heraus auch wieder Eigenes
und schöpfte Kräfte aus anderen Quellen. "Der Verlust der
Universität hat in und für Wittenberg Wunden geschlagen und
wir wollen zeigen, welche akademischen Spuren weiter bestanden oder neu
gezogen wurden", begrüßte Prof. Reinhard Kreckel, HoF-Institutsdirektor,
die ca. 80 Gäste der Ausstellungseröffnung. Ministerpräsident
Prof. Wolfgang Böhmer würdigte die Exposition als Zeichen der
Selbstbehauptung der Wittenberger. Co-Kurator Dr. Peer Pasternack, seit
kurzem Berliner Wissenschaftsstaatssekretär, empfand es als Vorteil,
nicht als preußischer Staatssekretär auftreten zu müssen,
da es bekanntermaßen eine preußische Kabinettsordre gewesen
war, welche die Wittenberger Universitätsschließung seinerzeit
angeordnet hatte. Dr. Volkmar Kunze, Wittenberger Bürgermeister,
betonte den Wert bürgerschaftlichen Engagements für die Verlebendigung
von Erinnerung, wie es sich im Ausstellungsteam gezeigt habe, und die
Bedeutung solcher Erinnerungsarbeit für die gegenwärtige und
künftige Standortbestimmung der Stadt.
Der Festvortrag der renommierten Universitätshistorikerin Prof. em.
Dr. Laetitia Boehm (München) über "Translatio studii. Gedanken
zur Gründung, Neugründung und Traditionswahrung der 500jährigen
Universität Wittenberg" legte eine systematische Basis für
das, was in der Ausstellung für die Zeit nach der Universitätsschließung
1817 präsentiert wird.
Diese Entwicklung wird im Rahmen eines modulartigen Ausstellungsaufbaus
nachgezeichnet: Die Ausgangspunkte der Betrachtung bilden die vier Fakultäten
der alten Universität, gefolgt von den - im einzelnen sehr unterschiedlich
ausgefallenen - Kontinuitätsbrüchen nach der Universitätsschließung.
Es werden Institutionen mit ihrer Geschichte zwischen 1817 und heute präsentiert,
die zwar keine Fortsetzung der Universität sind, aber inhaltliche
Anknüpfungspunkte zu dem aufweisen, was bis 1817 an den Universitätsfakultäten
stattgefunden hatte.
An Hand vielfältiger Exponate wird Wittenberg so als Ort theologischer
Ausbildung (Theologische Fakultät der alten Universität - Predigerseminar),
als Ort medizinischer Ausbildung und Versorgung (Medizinische Fakultät
der alten Universität - Hebammenlehranstalt und Paul-Gerhardt-Stift),
als Ort der Rechtsprechung (Juristische Fakultät der alten Universität
- Amtsgericht) sowie als Ort propädeutischer Ausbildung und naturwissenschaftlicher
Forschung (Artisten bzw. Philosophische Fakultät der alten Universität
- Melanchthon-Gymnasium/Piesteritzer Industrieforschung) dargestellt.
Des weiteren werden auch die neuen Impulse dokumentiert, die von der Neugründung
der Stiftung Leucorea im Jahre 1994 ausgehen.
Die unterschiedlichen Facetten der Ausstellung beleuchten z.T. auch aktuelle
Interessen, Motivationen und Befindlichkeiten der verantwortlichen Akteure
bzw. spiegeln die Brennpunkte des sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen
Lebens Wittenbergs wider. Gebündelt werden dabei nicht nur unterschiedliche
inhaltliche Präferenzen, sondern auch unterschiedliche Generationserfahrungen
und berufliche Hintergründe: Beteiligt an der Ausstellungsvorbereitung
waren Hochschullehrer, Gymnasiasten des Melanchthon-Gymnasiums, junge
Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler, Historiker, Ärzte
sowie Wissenschaftler aus dem Umkreis der Piesteritzer Industrieforschung.
Die Ausstellung "Wittenberg nach der Universität" kann
und soll auch als ein Anknüpfungspunkt betrachtet werden, um erinnerungsbezogene
Prozesse lokaler Identitätsfindung unterstützend zu begleiten.
Dasselbe Ziel verfolgen die parallel zur Ausstellung entstandenen Publikationen:
- Jens Hüttmann (Hg.): Wittenberg nach der Universität. Begleitheft
zur Ausstellung, Wittenberg 2002, 35 S.
- Peer Pasternack: 177 Jahre. Zwischen Universitätsschließung
und Gründung der Stiftung Leucorea: Wissenschaft und Höhere
Bildung in Wittenberg 1817 - 1994 (Themata Leucoreana, Vorträge und
Abhandlungen der Stiftung "Leucorea"), Wittenberg 2002, 122
S. ISBN 3-933028-53-1. € 5,-