Die
Entwicklung der Medizin in ihren ambulanten und stationären Ausprägungen
vollzog sich auch in Wittenberg vor, neben bzw. mit (1502 bis 1817) und
nach der Universität. Aber trotz jener jahrhundertelangen Zeit, in
denen eine Anbindung an eine Hochschule fehlte, ist folgendes zu konstatieren:
Die Bemühungen um eine moderne medizinische Versorgung in der Stadt
haben zu allen Zeiten in unterschiedlich festen Verbindungen gestanden.
Diese Verbindungen sollen in diesem Ausstellungskapitel verdeutlicht werden.
So waren etwa die Hospitäler des Mittelalters die Vorläufer unserer
heutigen Krankenhäuser, wie sie durch das Krankenhaus der Paul-Gerhardt-Stiftung
und die Klinik Bosse repräsentiert werden.
Am Beispiel der Familie Wachs, deren Mitlieder in vier Generationen als
Ärzte in Wittenberg tätig gewesen sind, soll die Verknüpfung
von ambulanter und stationärer Tätigkeit verdeutlicht werden.
Zugleich wird am Beispiel dieser Familie auch sichtbar, wie sie durch ihre
Tätigkeit für die Stadt und den Landkreis Verantwortung für
die Entwicklung nicht nur des Gesundheits-, sondern auch des Sozialwesens
wahrgenommen hat.
Ottomar Wachs (1822 -1894) war ein universell gebildeter, hochangesehener
Arzt, Kreisphysikus, geheimer Sanitätsrat, seit 1864 auch Direktor
der Wittenberger Hebammenlehranstalt. Seine wissenschaftliche Tätigkeit
schlug sich in zahlreichen Veröffentlichungen nieder. Seine bekannteste
ist die Monografie über den 1610 durch Jeremias Trautmann durchgeführten
1. Kaiserschnitt an einer lebenden Frau in Wittenberg. Sein Schwiegervater
war der ebenso bekannte Karl-Friedrich-Gabriel Denicke, Arzt, Geburtshelfer
und Stadtphysikus zu Wittenberg.
Erwin Wachs (1856 - 1920), Sohn von Ottomar Wachs, Arzt, Kreisarzt, 2. Lehrer
an der Hebammenlehranstalt wurde 1907 zum sächsisch-königlichen
Medizinalrath und 1917 zum Geheimen Medizinalrath durch Wilhelm II. ernannt.
Von 1900 an war er als Chefarzt am evangelischen Krankenhaus Paul-Gerhardt-Stift
tätig und wirkte als solcher prägend am Erweiterungsbau und der
medizinischen Erneuerung. Er genoss großes Ansehen, ungewöhnlich
viel Vertrauen und Ansehen bei seinen Patienten. Durch seine schwere Erkrankung
schied er 1919 aus dem Amt.
Sein Sohn Wolfgang Wachs (1890 - 1968), ebenfalls als praktischer Arzt in
Wittenberg tätig, wirkte auch in der Säuglings- und Lungenfürsorge
sowie als Schul- und Polizeiarzt. 1919 erfolgte seine Berufung zum Chefarzt
der Inneren Abteilung und 1936 als Leitender Chefarzt am Evangelischen Krankenhaus
Paul-Gerhardt-Stift in Wittenberg. Auch er genoss wie sein Vater bei seinen
Patienten und in der Bevölkerung Ansehen und Verehrung. Mit Geschick
und Mut brachte er das Krankenhaus durch die schwierigen Zeiten des 2. Weltkrieges
und das erste Nachkriegsjahrzehnt.
Hans-Joachim Wachs (1923 - 1994) setzte die Generationsfolge fort. Als Facharzt
für Allgemeinmedizin wirkte er in Wittenberg und Coswig. Von 1968 bis
zur Frühinvalidisierung erfüllte er verschiedene Funktionen im
öffentlichen Gesundheitswesen.
Insgesamt kann die überaus schnelle Entwicklung innerhalb der Medizin
an der Entwicklung des medizinischen Instrumentariums abgelesen werden.
Augenscheinlich ist es ebenso möglich, die Entwicklung im Krankenhauswesen
auch an der Veränderung der Schwesterntrachten zu erkennen. An drei
Beispieltrachten der seit 1939 im Paul-Gerhardt-Stift tätigen Schwesternschaft
des Evangelischen Diakonievereins kann dies verdeutlicht werden.
Was den wissenschaftlichen Meinungsstreit angeht, zeigt das Ausstellungskapitel,
dass die in Wittenberg tätigen Ärzte durch Promotions- und Habilitationsschriften
sowie durch Erarbeitung von Fachbüchern und durch die Veröffentlichung
von vielen Aufsätzen an diesem stets teilgenommen haben. Die Lebenswege
jener Wissenschaftler sollen schließlich durch einen 'Stammbaum' verdeutlicht
werden. Er zeigt, wie aus dem Stamm - der Leucorea nämlich - zu dem
auch einst die Medizinische Fakultät gehört hat, die modernen
Krankenhäuser in Wittenberg entstanden sind.
Möge der Überblick zum Eindruck verhelfen, dass sich universitäre
Forschungen und praktische Erfahrungen immer ergänzt haben und auch
in Zukunft auf enge Zusammenarbeit angewiesen sind.