Was ist, was kann und was soll
die Evaluation von Studium und Lehre?
Eine Einführung

Martin Winter




Es gibt nichts, was nicht evaluiert werden kann: die Funktionalität bestimmter technischer Verfahren, die Wirksamkeit politischer Programme, die Effizienz von industriellen Produktionsabläufen und nicht zuletzt: Forschung und Lehre an den Hochschulen. Evaluation gilt als eines der Zauberwörter in der hochschulpolitischen Diskussion der 90er Jahre. Der Wunschzettel, der mit dieser Formel verbunden wird, ist lang: Effizienzsteigerung, Qualitätskontrolle, - sicherung und -verbesserung der Lehre, Legitimationsbeschaffung gegenüber der steuerzahlenden Öffentlichkeit, Erhöhung des Stellenwerts der Lehre gegenüber der Forschung, Steuerung finanzieller Mittel und und und. Der Begriff der Evaluation ist in aller (Hochschulpolitiker und -forscher) Munde. Dabei ist völlig offen, was letztendlich darunter verstanden werden soll.

Evaluieren heißt im Grunde nichts anderes als untersuchen und bewerten. So wie Hunderte von Möglichkeiten zur Verfügung stehen, Strukturen oder Prozesse zu untersuchen und zu bewerten, so gibt es Hunderte von Ansätzen zu evaluieren. Evaluation ist nicht gleich Evaluation. Sie kann mit Hilfe sozialwissenschaftlichen Instrumentariums durchgeführt werden, muß aber nicht. Oftmals wird eine Evaluation gefordert, ohne die grundlegenden Fragen überhaupt angedacht zu haben:

- Wer oder was wird evaluiert?
- Wer evaluiert?
- Warum und wozu wird evaluiert?
- Für wen wird evaluiert?
- Wie wird evaluiert?

Die erste entscheidende Frage ist: Wer oder was wird evaluiert? Diese Frage hängt natürlich stark mit den Entscheidungen darüber zusammen, zu welchem Zweck und mit welchem Ziel evaluiert wird.

Evaluation kann an den einzelnen Veranstaltungen ansetzen. Gerade in angelsächsischen Ländern sind Bewertungen einzelner Veranstaltungen (meist durch die Lernenden) an der Tagesordnung. Am Ende einer Lehrstunde werden Fragebögen an die Hörenden verteilt, die ihr Votum über die Qualität (z.B. die didaktische Aufbereitung, die Struktur des dargebotenen Stoffes, die inhaltliche Relevanz, das Engagement des Lehrenden etc.) dieser einen Stunde geben.

Etwas weiter greift die Beurteilung von einzelnen Seminaren in der Mitte oder am Ende des Semesters. Hier wird der Ablauf eines Seminares über das gesamte bereits gelaufene Semester gegeben. Neben Fragen der didaktischen und inhaltlichen Qualität dieses einen Seminars kann somit auch das Gesamtkonzept der Veranstaltung benotet werden. Wenn von Lehrevaluation gesprochen wird, dann ist damit meist eine derartige Beurteilung von Lehrveranstaltungen durch die Seminarteilnehmenden gemeint: die sogenannten ‘Prüf-den-Prof’-Fragebogen-Aktionen.

Einen wesentlichen Schritt weiter geht die Evaluation eines Faches oder eines Studienganges. Diese kann Lehrveranstaltungsevaluationen, wie ich sie oben vorgestellt habe, mit enthalten, muß aber nicht. Im Zentrum steht die Konzeption des Studiengangs und ihre Realisation. Grundsätzliche Fragen sind damit verbunden: Welches Ziel wird mit dem Studiengang verfolgt? Dient das Studium der Vorbereitung auf einen praktischen Beruf oder auf eine wissenschaftliche Karriere? Was sollen die Studierenden lernen und wie sollen sie lernen? Welche Schwerpunkte werden gesetzt und wie werden sie umgesetzt? Was für ein fachliches Profil besitzt die Lehre dieses Fachs? Welche Art Veranstaltungen werden angeboten? usw. usf.

Und nicht zuletzt können auch die Rahmenbedingungen des Studierens untersucht werden. Wichtige Indikatoren sind hierfür: das Betreuungsverhältnis Lehrende und Lernende, die Verfügbarkeit und Geeignetheit der Räumlichkeiten, der Zustand der Bibilothek, die Qualität der Beratung von BewerberInnen und Studierenden, der Betreuung von Studierenden ...

Rahmenbedingungen, Studienfach und einzelne Veranstaltungen lassen sich getrennt voneinander untersuchen. Die Evaluation aller drei Bereiche ergeben zusammen ein Maximalprogramm, das sich die Untersuchung und Verbesserung der Qualität eines Studiengangs insgesamt zum Ziel gesetzt hat.

Der Objektbereich der Evaluation entscheidet auch über den Aufwand der Aktion, und der Aufwand der Untersuchung entscheidet über die zu erbringenden Kosten. Objektbereich, Kosten und Aufwand determinieren die Häufigkeit der Durchführung: Eine umfassende Studiumsevaluation kann nicht alle Jahre durchgeführt werden. Gerade wenn zum ersten Mal evaluiert werden soll, dann spricht vieles für eine einmalige und umfassende Untersuchung, auf der spätere Evaluationen aufbauen können. Im Kontext von geplanten Studiumsreformen ist es ebenfalls sinnvoller, alle Bereiche umfassend zu evaluieren. Anders schaut die Sache aus, wenn der Evalutionsprozeß institutionalisiert und damit der Alltagslehrbetrieb kontinuierlich auf Qualität geprüft werden soll. Im Ergebnis wird damit eine Art Veranstaltungs-Monitoring eingerichtet.

Eine Studiumsevaluation bezieht sich zumeist auf eine Fakultät oder einen Fachbereich. Ist in der Hauptsache ein Institut für das Lehrangebot eines Studienganges verantwortlich, dann kann auch nur dieses eine Institut einer Evaluation unterzogen werden. Nicht nur Veranstaltungen oder Studiengänge lassen sich evaluieren, sondern auch die beteiligten Personen, sprich die Lehrenden und die Lernenden (nicht zu vergessen: die Dienstleistenden aus der Studiumsverwaltung). Die Evaluation des Lernfortschritts ist im Bildungswesen gang und gäbe: Prüfungen markieren den Weg eines Studierenden zum Hochschulabschluß. Auch Bewertungen von Hochschullehrenden sind mittlerweile üblich. Die schon genannten ‘Prüf-den-Prof’-Umfragen, die häufig von studentischer Seite initiiert und durchgeführt werden, fallen in diese Sparte. Denkbar ist aber auch eine Bewertung der HochschullehrerInnen durch Peers (also WissenschaftlerInnen anderer Universitäten) oder HochschuldidaktikerInnen - ähnlich den Prüfungen von ReferendarenInnen an den Schulen (Stichwort: Hospitanz).

Und damit bin ich bei der zweiten grundsätzlichen Frage angekommen: Wer evaluiert? In der Fachliteratur wird zwischen interner und externer Evaluation unterschieden. Intern heißt, der Evaluationsprozeß wird von den betroffenen Akteuren selbst geplant, organisiert und durchgeführt. Eine externe Evaluation kommt einer Supervision oder einer Begutachtung gleich; Fachleute, wie z.B. WissenschaftlerInnen, UnternehmensberaterInnen, HochschulforscherInnen, die nicht der Universität angehören, überprüfen Studium und/ oder Lehre. Eine Zwischenstellung übernehmen MitarbeiterInnen der Universität, die für die Begleitung von Lehrevaluationen eingestellt wurden. Sie übernehmen zumeist organisatorische, koordinierende und fachliche beratende Funktionen bei internen Evaluationen.

Mit der Entscheidung, ob nun intern oder extern evaluiert werden soll, werden wichtige Weichenstellungen hinsichtlich des Charakters und der Zielsetzung der Evaluation getroffen. Eine externe Evaluation kann eher den Charakter einer Prüfung aufweisen, die zu bestehen ist.

Eine interne Evaluation dagegen bietet die Möglichkeit, offen eigene Schwächen, aber auch Stärken herauszufinden und zu reflektieren, und selbstbestimmt Konsequenzen zu ziehen, das heißt zum einen Zielvorgaben zu entwickeln und zum anderen Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität von Studium und/ oder Lehre zu ergreifen. Derartige selbst organisierte und durchgeführte Evaluationen entsprechen auch dem allgemeinen Trend zu mehr Autonomie der Hochschule. Aus eigener Kraft und in eigener Verantwortung sorgt die Universität bzw. die Fakultät für Qualität in Studium und Lehre. Sie beweist im übrigen damit, daß sie aus sich selbst heraus reformfähig und -willens ist.

In der Bundesrepublik setzt sich - auch aufgrund von Erfahrungen aus dem westlichen Ausland - zunehmend ein Verfahren durch, das interne und externe Elemente miteinander kombiniert. Protagonisten dieses Ansatzes sind u.a. das Hochschulinformationssystem (HIS) in Hannover und das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh. In diesem Verfahren wird zumeist eine umfassende Studiumsevaluation angestrengt.

Die weichenstellende Entscheidung, ob nun intern oder extern evaluiert werden soll, weist direkt auf die dritte und wichtigste Grundfrage nach dem Zweck der Lehrevaluation: Warum und wozu soll evaluiert werden? Ohne die Frage nach der Umsetzung der Evaluationsergebnisse zu klären, kann Evaluation zum reinen (und teuren) Aktionismus ausarten, der nur noch betrieben wird, weil Evaluation gerade eines der Modethemen der hochschulpoltischen Diskussion ist. Drei grundsätzliche Zweckausrichtungen lassen sich unterscheiden:

  1. Evaluationen dienen der Kontrolle und der Rechenschaftslegung gegenüber der Hochschulleitung, dem vorgesetzten Ministerium (und damit letztlich der steuerzahlenden Öffentlichkeit). Angesichts immer knapper werdender Haushaltsmittel kann eine derartige Evaluation zur Steuerung der Mittelvorgabe, zur Belohnung der Leistungsfähigkeit bzw. zur Sanktionierung von Qualitätsdefiziten beitragen.
  2. Evaluationen (insbesondere sind hier das Uni-Ranking á la Fokus und Spiegel zu nennen) fördert die Transparenz, den Vergleich und damit den Wettbewerb zwischen den Fakultäten und Universitäten.
  3. Und nicht zuletzt kann sie einen Reformprozeß in Gang setzen, der die Verbesserung der Qualität von Studium und Lehre im Visier hat. Hierbei ist es zentral, daß sich die Beteiligten auf eine Umsetzung der in dem Evaluationsprozeß entwickelten Verbesserungsvorschläge verpflichten. Für diese Art von Evaluation gibt es Modelle, die sich in der Praxis mittlerweile bewährten.

Zweck und Adressat der Evaluation lassen sich nicht voneinander trennen. Die Definition der Zielvorgabe entscheidet über die vierte Frage, für wen die Evaluation durchgeführt wird, und umgekehrt bestimmt der Adressat auch den Zweck. Analog zu den drei grundsätzlichen Zweckbestimmungen gibt es drei verschiedene Adressaten:

Der erste mögliche Adressat ist eine vorgesetzte Stelle. Wird mit der Evaluation auch eine Rechenschaftspflicht gegenüber einem Dritten, wie dem Kultusministerium verbunden, so kann dies euphemisierende Selbstdarstellungen, aber auch anklagende Tendenzen ("uns fehlt es an geeigneten Räumen, an Personal ...!") mit sich bringen. Evaluation findet immer in einem Geflecht von Interessen statt. Zielkonflikte aufgrund verschiedener Interessenlagen sind da vorprogrammiert. Das Ministerium möchte wissen, ob die Hochschule effizient mit den Steuergeldern umgeht und die aufgetragenen Ziele (Qualität von Forschung und Lehre) auch erfüllt werden. Die Hochschule, die Fakultät dagegen will Mittelkürzungen vermeiden bzw. Forderungen hinsichtlich der finanziellen Ressourcen erheben. Lehrberichte, zu deren Erstellung die Hochschule laut Gesetz (in Sachsen-Anhalt: § 8 HG LSA) verpflichtet ist, und Evaluation können sich ausschließen, müssen aber nicht. Wenn Evaluation nicht als selbstkritisches Verfahren zur Reform, sondern nur als Rechenschaftslegung begriffen wird, dann kommen sich Lehrbericht und Evaluationspraxis nicht ins Gehege.

Zweiter möglicher Adressat ist die Öffentlichkeit. Die Evaluation dient damit der Außendarstellung der Universität. Die Hochschule zeigt Profil (als kulturelle wie als fachliche Institution). Gerade in Zeiten, in denen zum Wettbewerb zwischen den Hochschulen aufgerufen wird, kann dieser PR-Aspekt eine wesentliche Rolle spielen - nicht zuletzt für interessierte StudienbewerberInnen. Die Grenze zwischen Problemexploration und Selbstdarstellung verwischt hierbei natürlich.

Und schließlich kann der Adressat die Universität selbst sein. In diesem Fall kann der Hauptzweck sein, den Angehörigen der Hochschule eine Diskussionsgrundlage, wie die Qualität der Lehre zu verbessern ist, anzubieten. Hier geht es insbesondere um eine Reform des Studiums, die Verbesserung der Lehre, um Personal- und Organisationsentwicklung. Nicht zu vergessen ist natürlich der Aspekt der universitätsinternen Mittelverteilung - ein Thema, das im Zuge der Einführung von Globalhaushalten an den Hochschulen besondere Relevanz erhält. Mit dieser Ausrichtung erhält die Evaluation damit allerdings eine ganz andere Zielvorgabe, die wiederum eher einen Kontrollcharakter aufweist (siehe Punkt 1).

All die W-Fragen (was, wer, warum...) sind eng miteinander verwoben. Gibt es eine Rangliste nach der Wichtigkeit dieser Evaluationskriterien, so stehen zum einen die Zweckausrichtung und zum anderen die Methode der Evaluation, also die Frage nach dem Wie, ganz oben auf der Liste.

Grundsätzlich können zwei Gegensatzpaare der Evaluationsansätze aufgestellt werden:

Hierarchisch versus partizipatorisch und prüfend versus diskursiv. Mischformen sind indes möglich und auch Praxis: Die Prüfungen sind in der Regel hierarchisch und im extremen Fall auch sanktionierend angelegt. Die Prüfer kommen von außen (Stichwort externe Evaluation), sie kontrollieren und verlangen Rechenschaft. Personen, Veranstaltungen, Institute werden "durchgecheckt". Das Urteil der Gutachter zeitigt Konsequenzen. Zu dieser Art von Evaluation passen dann auch spezifische Methoden, die empirisch-analytisch (das heißt, mit den klassischen Methoden der empirischen Sozialforschung arbeitend) ausgerichtet sind. Ziel kann es sein, Ergebnisse zu quantifizieren, Personen, Strukturen und Prozesse zu benoten. Statistische Vergleiche werden damit möglich - zum einen mit vorausgegangenen Untersuchungen (wie haben sich die "Evaluationswerte" verändert?), zum anderen mit Konkurrenzeinrichtungen (wie haben andere Fakultäten, andere Universitäten abgeschnitten?). Ein spezifischer Fall eines externen, mit Hilfe von statistischen Methoden durchgeführten Evaluierens stellt das umstrittene Uni-Ranking von Nachrichtenmagazinen (Fokus und Spiegel) dar. Es ist natürlich nicht so, daß externe Evaluatoren immer den Charakter von Prüfern annehmen, sie können auch moderierend, beratend und unterstützend wirken.

Interne Evaluationen sind partizipatorisch angelegt. Sie bieten die Chance, alle Gruppen von Universitätsangehörigen an der Analyse des Ist-Zustands und der Entwicklung von Lehrzielen und Maßanhmen zu deren Umsetzung zu beteiligen. Positive Effekte können sich hieraus entwickeln: Der Diskurs zwischen den Lehrenden, zwischen den Lernenden und zwischen Lehrenden und Lernenden wird angeschoben, wo er vielleicht jahrelang eingeschlafen oder unterdrückt war, die Identifikation mit der Fakultät und der Universität kann so gefördert werden. Ein derartiges Verfahren trägt zur gemeinsamen Zieldefinition der Fachangehörigen bei (und damit zur Klärung der Fragen, was heißt eigentlich Qualität der Lehre und des Studiums, welche Dimensionen verstecken sich hinter diesem Schlagwort). Es ist nach vorne gerichtet: die Verbesserung der Lehrveranstaltung, des Studiengangs, der Studienbedingungen ist das Anliegen. Vorschläge, Reformideen werden aus diesem induktiven Prozeß gewonnen.

Bei empirisch-analytisch Ansätzen schlägt die Stunde der Sozialwissenschaft. Diese spezifische Evaluation kann auch als anwendungsorientierte Sozialwissenschaft verstanden werden. Im Prinzip kann die gesamte Palette des Methodenspektrums der empirischen Sozialforschung zur Anwendung kommen: Von problemzentrierten Einzelinterviews, zu Gruppendiskussionen, Beobachtungen und Dokumentenanalysen. In der Praxis dagegen wird häufig der traditionelle Weg der standardisierten und quantifizierbaren Befragungen mittels schriflich auszufüllenden Fragebogen verwendet, Stichwort sind die ‘Prüf-den-Prof’-Umfragen. Gerade die Befragungen von StudienabbrecherInnen, - wechslerInnen und AbsolventInnen bietet die Chance, Erfahrungen und Einschätzungen von "ExpertInnen" über das Studium, die Abstimmung und die (praktische oder wissenschaftliche) Ausrichtung der Studieninhalte zu erhalten.

Erhoben werden können objektive, harte Fakten (meist sind das statistische Daten; um nur einige zu nennen: Anzahl der Studierenden, der Lehrenden, der angebotenden Lehrveranstaltungen, der AbsolventInnen), aber auch subjektive Einschätzungen seitens der Lernenden und Lehrenden, also ihre Bewertung bestimmter Veranstaltungen, Studiengänge und -bedingungen. Auf welchen der genannten Bereich sich die Evaluation konzentiert, muß bei der Planung des Vorhabens entschieden werden. Und damit bin ich wieder bei der ersten Frage angekommen, die im Vorfeld einer Lehrevaluation geklärt werden muß: Was soll evaluiert werden?